Kritische Stimme zum Schweigen gebracht
In der südrussischen Teilrepublik Inguschetien wurde wieder ein kritischer Journalist getötet. Menschenrechtler sprechen von "Staatsterror"
ULRICH HEYDEN MOSKAU (SN, n-ost). Zwei Jahre nach dem Mord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja ist in Russland wieder ein Journalist getötet worden. Der Herausgeber der Internetzeitung ingushetiya.ru, Magomed Jewlojew, starb jetzt durch eine Schussverletzung. Laut Darstellung der Polizei hatte Jewlojew nach seiner Verhaftung in Nasran, der Hauptstadt Inguschetiens, versucht, den Polizisten eine Waffe zu entwenden; dabei habe sich ein Schuss gelöst, hieß es. Jewlojew starb in einem Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung ein.
Scharfer Protest kam von der Moskauer Menschenrechtsorganisation "Memorial". Der gewaltsame Tod von Jewlojew sei ein "neuer Akt von Staatsterror" und ein "demonstratives und zynisches Verbrechen". Nach dem "kleinen siegreichen Krieg" in Georgien "verzichtet die Macht jetzt offensichtlich auf den Anschein von Rechtsstaatlichkeit im Verhältnis zu seinen Kritikern".
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat die Ermordung des Regierungskritikers Jewlojew scharf verurteilt. Jewlojew sei in der Haft getötet worden, weil ihn die staatlichen Behörden zum Schweigen bringen wollten, sagte der OSZE-Repräsentant für Medien, Miklos Haraszti, am Dienstag in Wien. "Jewlojews Tod ist der Höhepunkt einer orchestrierten Kampagne der inguschetischen Behörden, die einzige kritische Stimme in der Region zum Schweigen zu bringen."
In den russischen Kaukasus-Republiken Inguschetien, Dagestan und Kabardino-Balkarien kommt es häufig zu Übergriffen der Polizei auf Zivilisten, die wegen angeblicher Untergrundtätigkeit gegen den Staat verdächtigt werden. Alle paar Wochen nimmt die Polizei Widerstandsnester von bewaffneten Islamisten aus.
Korrupter Machthaber stark unter Druck
Die Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus ist hoch; die örtlichen Machthaber haben wegen der stark verbreiteten Korruption einen sehr üblen Ruf.
Die Website des Getöteten übte häufig scharfe Kritik an der Politik des Präsidenten Inguschetiens, Murat Sjasikow. Der ist ein ehemaliger General des russischen Geheimdienstes. Ein Moskauer Gericht hatte im Mai die Schließung der Website wegen "Extremismus" angeordnet. Die in den USA registrierte Website ist jedoch weiterhin zugänglich. Ingushetiya.ru hatte Sjasikow wegen Korruption, Polizeiwillkür und Einschüchterung der Opposition kritisiert.
Chefredakteurin Rosa Malsagowa hatte bereits Asyl in Frankreich beantragt. Auch Jewlojew hielt sich in den vergangenen Monaten in Europa auf und wollte Inguschetien nur für einen Tag besuchen. Die Opposition in Inguschetien hatte in diesem Sommer 80.000 Unterschriften für den Rücktritt von Präsident Sjasikow gesammelt.
In der von Muslimen bewohnten russischen Teilrepublik Inguschetien leben etwa 500.000 Menschen. Im Osten grenzt die Teilrepublik an Tschetschenien, im Westen an Nordossetien und im Süden an Georgien.
Die Verhaftung Jewlojews spielte sich wie ein Krimi ab. Der Herausgeber der Internetzeitung traf am Sonntag, aus Moskau kommend, in Nasran ein. Als die wartenden Angehörigen sahen, dass sich eine Spezialeinheit der Polizei in Jeeps und Autos vom Typ Wolga dem Flugzeug näherten, um Jewlojew zu verhaften, rannten die Angehörigen auf das Rollfeld, wurden aber von den Warnschüssen der Polizisten zurückgehalten.
Laut Radio "Echo Moskwy" wurde der Sarg Jewlojews auf einer Kundgebung der Opposition getragen. Die Demonstranten forderten die Aufklärung des Verbrechens. Freunde des Getöteten schworen auf der Kundgebung Blutrache.
"Salzburger Nachrichten"