Maidan geräumt
Ukraine: Mit einer Parade auf dem Revolutionsplatz sollen die Erfolge an der Ostfront gefeiert werden Der Kreschatik, die Hauptverkehrsader in Kiew, auf der monatelang Zeltstadt und Rednertribüne der Anti-Janukowytsch-Lager standen, wird von der neuen Macht in Kiew wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt. Nicht Protest soll diesen Boulevard und den Maidan prägen, sondern die Normalität staatlicher Macht. Am 24. August, dem Tag der Unabhängigkeit, werden hier laut Verteidigungsministerium Panzer entlangrollen und Truppen paradieren. Die Bürger sollen dieses Arsenal, das im Osten der Ukraine nicht nur Rebellen, sondern auch einfache Bürger tötet, aus nächster Nähe in Augenschein nehmen.
Den Aufmarsch krönen könnte die Einnahme der Städte Donezk und Lugansk. Doch selbst erfahrene Feldkommandeure wie Semjon Sementschenko halten das für „ziemlich unrealistisch“. Für die „Säuberung von Donezk“ brauche man anderthalb Monate, mindestens.
Als vor Tagen die Kiewer Stadtreinigung, sekundiert vom „Bataillon Kiew“, einer Spezialeinheit von Bürgermeister Vitali Klitschko, mit der Räumung des Maidan begann, kam es nochmals zum Aufruhr. Schüsse fielen, Autoreifen brannten, doch dann rollten Kehr- und Räumfahrzeuge. Tonnen von Müll und Dutzende von Zelten hatten ausgedient. Klitschko stand diesmal auf der anderen Seite der Barrikaden, die schneller verschwanden als gedacht. Jetzt, da im Land ein Krieg tobe, „kann nicht irgendwer im Zentrum von Kiew einen Platz privatisieren“, so das Stadtoberhaupt.
Unterdessen hat die ukrainische Regierung einen neuen Gegner. Frauen und Mütter von Soldaten und Wehrpflichtigen bilden eine Protestbewegung, die sich nicht einfach mundtot machen lässt, zumal seit Wochenbeginn ständig Verlustmeldungen aus dem Raum Donezk eintreffen. Am 23. Juli hat Präsident Petro Poroschenko die inzwischen dritte Mobilmachung verfügt. Sie gilt für 20.000 Reservisten und hat dem Protest gegen die fortwährenden Einberufungen Auftrieb gegeben. Es gab in der Westukraine Blockaden von Straßen und Brücken. Viele glauben, sollten die Kämpfe im Osten in eine Konfrontation mit Russland münden, werde eine Generalmobilmachung folgen.
Besonders stark stemmen sich die Menschen in Transkarpatien, dem südwestlichen Zipfel der Ukraine, gegen den ausufernden Bürgerkrieg. In der Region, die an Rumänien, Ungarn und die Slowakei grenzt, waren Ende Juli alle Straßen aus der Stadt Tschernivtsi zur Grenze durch Betonblöcke und Trucks blockiert. Die Protestler warfen die hellblauen Einberufungsbescheide ihrer Söhne mitten auf die Fernstraße und zündeten sie an. Diese Anti-Kriegs-Bewegung ist für Kiew ausgesprochen lästig. Sie stört das von den meisten Medien verbreitete Bild von der einigen Nation, die einen Überlebenskampf gegen einen äußeren Feind führt. Und sie lebt vom Misstrauen gegenüber einer offiziellen Informationspolitik, die das Leid der Zivilisten wie die vielen zerstörten Gebäude im Osten allein als das „Werk von Terroristen“ darstellt.
veröffentlicht in: der Freitag