19. February 2007

Man kennt sich

Wenn er irgendwo auftritt, wirkt er so steif, als habe er einen Stock verschluckt. Sein Lächeln ist listig. Doch überheblich wirkt Sergej Iwanow, den Putin eben zum "ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten" beförderte und vom Amt des Verteidigungsministers befreite, nicht.

Das macht wohl die KGB-Schule, die Iwanow in den 70er Jahren absolvierte. Der 54-Jährige fixiert seine Gesprächspartner sehr aufmerksam. Dabei scheint er die Informationen in verschiedene Schubladen zu packen, so wie in den 80er Jahren, als er für die sowjetische Spionage in Finnland, Großbritannien und dann auch Kenia arbeitete.
Iwanow kommt aus einer Familie von Militärangehörigen. Vom Typ ist er Intellektueller. Als Putin ihn Ende 2001 zum Verteidigungsminister berief, war das für den Geheimdienstmann eine echte Herausforderung. An den rauen Ton in der Armee und die immense Aufgabenlast musste er sich erst gewöhnen. Mehrmals beklagte Iwanow Überlastung. Plötzlich klemmte ein Nerv. Tagelang sah man den Verteidigungsminister mit einem steifen Bein humpeln. "Es ist schon schwer, auf zwei Stühlen zu sitzen, jetzt versuche ich auf drei zu balancieren", erklärte er in einem Al Dschasira-Interview.

An dem langen Tisch des russischen Regierungskabinetts sitzen sich nun die beiden möglichen Putin-Nachfolger Sergej Iwanow und Dmitri Medwedjew direkt gegenüber. Beide sind nun "erster stellvertretender Ministerpräsident" und somit ranggleich. Der Professoren-Sohn und Jurist Medwedjew ist das Gegenteil von Iwanow. Er wirkt gewandt, gibt sich liberal und hört sich gerne die Sorgen der einfachen Leute an. Das russische Fernsehen zeigte in den letzten Monaten, wie Medwedjew durch russische Provinzstädte tourt und die Umsetzung der neuen russischen Sozial-Programme kontrolliert.

Der ehemalige Verteidigungsminister war immer an Putins Seite. Während seiner Ausbildung beim KGB und der Tätigkeit für die Auslandsaufklärung kreuzten sich die Wege von Iwanow und Putin mehrmals. Als der Kreml-Chef 1998 den Inlandsgeheimdienst FSB leitete, war Iwanow sein Stellvertreter. Dass Putin seinen langjährigen Vertrauten gerade jetzt befördert, hängt offenbar auch mit seiner Rede auf der internationalen Sicherheitskonferenz in München zusammen. Putin hatte "die Sicherheit als Priorität bezeichnet, darum ist die Rolle von Iwanow gestiegen", erklärte der Kreml-Kenner Gleb Pawlowski.

Dem Westen gegenüber ist Iwanow höchst misstrauisch. Er kennt ihn auch nicht besonders gut. Die geplante amerikanische Raketenabwehr in Osteuropa kritisierte er mit scharfen Worten. Iwanow gefällt sich in der Rolle des Prellbocks gegenüber den USA. Unter Verteidigungsminister Iwanow wurden Milliarden-Rüstungsaufträge mit Indien abgewickelt. Auch das erste russisch-chinesische Manöver, bei dem eine Luftlandeoperation gegen mögliche Separatisten geübt wurde, fand in der Ägide Iwanows statt.

Mit der Amtsbeförderung möchte Putin nun - ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen - seinen Vertrauten Iwanow von Alltagssorgen befreien und vor Armee-Skandalen schützen. Iwanow soll sich weiter um die Rüstungsindustrie kümmern. Zusätzlich gehört jetzt auch die Erneuerung der russischen Industrie zu seinem Aufgabenbereich. Putin lobte Iwanow mit überschwänglichen Worten für das bisher Geleistete. Die russische Rüstungsindustrie habe im letzten Jahr ein Export-Rekordergebnis von sechs Milliarden Dollar eingefahren, erwähnte er stolz. Erste Erfahrungen mit dem zivilen Bereich der Wirtschaft machte Iwanow bereits. Im letzten Jahr leitete er die Zusammenführung der zivilen und militärischen russischen Flugzeugbauer in einem Konzern - eine Herkulesaufgabe.

Bei den immer wiederkehrenden Armee-Skandalen hatte der ehemalige Verteidigungsminister oft eine mehr als peinliche Figur abgegeben. Als Fernsehreporter ihn im Januar 2006 auf den Rekruten Andrej Sytschow ansprachen - dem Wehrpflichtigen mussten nach Quälereien durch andere Soldaten beide Beine und die Geschlechtsteile amputiert werden - erklärte Iwanow: "Ich glaube, dass es dort nichts Ernstes gibt. Andernfalls hätte ich auf jeden Fall davon gehört." In der Armee-Führung hielt man den Fall offenbar für so gewöhnlich, dass man den Verteidigungsminister nicht informierte.

Iwanow hängt noch eine andere Geschichte an, die seinem Image schweren Schaden zufügte. Sein Sohn Aleksandr hatte im Mai 2005 eine alte Frau überfahren, die Zeugenaussagen zufolge bei Grün über einen Zebrastreifen ging. Die Frau verstarb, Iwanows Sohn wurde freigesprochen. Die Fernsehjournalistin Olga Romanowa, die über den Fall beim russischen Kanal Ren TV berichtete, wurde im November 2005 entlassen. Die meisten Russen gehen davon aus, dass der Minister seine Hände im Spiel hatte, um den eigenen Sohn herauszuhausen.

Südkurier
von Ulrich Heyden, n-ost

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