10. November 2011

„Mars-Astronauten“ berichten

Mehr als 500 Tage waren sie auf der Reise zum Mars. Jetzt berichten die Test-Astronauten von ihren Erfahrungen in der Isolation

Die Test-Astronauten von Moskau, die 520 Tage in einer Röhre lebten, sind seit Montag wieder in Freiheit. Gutgelaunt präsentierten sich die Teilnehmer des imaginären Fluges zum Mars im Haus der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti. Ihre Quarantäne mit den ersten medizinischen Untersuchungen ist vorbei. Die Versuchskaninchen aus Russland, China, Frankreich und Italien erklärten, sie seien stolz auf ihren Beitrag zur Raumfahrt. Man habe viel über sich selbst gelernt.

Mit 520 Tagen Total-Isolation – außer E-Mail-Verkehr – dauerte das Experiment länger als die 438 Tage, die der russische Kosmonaut Waleri Poljakow 1994/95 auf der Mir-Raumstation verbrachte. Im Gegensatz zu Poljakow habe man bei dem jetzigen Experiment aber wesentlich mehr wissenschaftliche Daten gewonnen, berichtet Peter Gräf vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der die elf deutschen Experimente beaufsichtigte, welche bei Mars-500 gemacht wurden.

„Was ich in dieser Zeit erlebt habe, übersteigt alles, was in meinem früheren Leben passierte“, erklärt Yue Wang, der von der Sechser-Gruppe den vergnügtesten Eindruck machte. Der Chinese baute Stress-Situationen ab, indem er sich mit Kalligraphie beschäftige und Bücher las.

Der in Tadschikistan geborene Herzchirurg Sukhrob Kamolow arbeitete in der Test-Röhre als „Bordarzt“. Sukhrob erklärte, das Projekt habe ihm für seine Arbeit viel neues Wissen gebracht. Außerdem habe es gezeigt, dass Menschen mit sehr unterschiedlichen Charakteren und Nationalitäten auf engstem Raum zusammenleben können.

Wenn es Spannungen gab, habe man zwei Gruppen gebildet und das Computer-Ballerspiel „Counter-Strike“ gespielt, berichtet der russische Wissenschaftler-Astronaut Alexej Smole jewski. „Es gab immer zwei Mannschaften: Die Russen gegen den Rest“, sagt er verschmitzt. Auch eine Gitarre sorgte für Stimmung. Insbesondere der Franzose und der Italiener taten sich als Sänger hervor. Smolejewski meinte, sein Dienst bei der russischen Armee habe ihn für den Stress beim simulierten Mars-Flug fit gemacht. So sagte der Russe: „Nach mehreren Jahren bei der Armee kann man an jedem beliebigen Experiment teilnehmen.“

Für die Test-Astronauten ist das Mars-500-Experiment aber noch nicht zu Ende. Sie müssen sich jetzt noch sechs Monate lang zu medizinischen Tests in Labors einfinden. So wird in der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität getestet, wie sich der Stress auf das Immunsystem ausgewirkt hat. Dafür werden die Boden-Astronauten in eine Röhre gesteckt, in der mittels einer Magnetresonanz-Tomographie Aufnahmen vom Gehirn gemacht werden.

Die sechs Männer hätten der Menschheit schon jetzt einen großen Dienst erwiesen, meint der deutsche Wissenschaftler Jens Tietze von der Universität Erlangen. Denn wie sich herausstellte, führte die Senkung des Salzgehaltes in der Nahrung der Test-Astronauten zu einem niedrigeren Blutdruck. Der Weg zu diesem Ergebnis war jedoch hart. Um aussagekräftige Daten zu erhalten, mussten die Männer auf dem „Hinflug“ zum Mars ihre Teller 250 Tage lang vollständig leeren. Doch bei der Bilanz in Moskau beklagte sich niemand über die Devise „alles aufessen“. Im Gegenteil. Alle Test- Astronauten berichteten, sie seien stolz, dass sie Teilnehmer des ersten simulierten Fluges zum Mars waren.

veröffentlicht in: Südkurier

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