22. August 2011

In Moskau türmt sich alter Asphalt

In der Moskauer Innenstadt liegen auf vielen Gehwegen Berge von Asphaltschutt. Doch die Wege-Erneuerung findet in der Stadt nicht nur Befürworter.

Diesen Anblick werden die Moskauer lange nicht vergessen. Überall im Stadtzentrum, vor Wohnhäusern, Museen und U-Bahn-Stationen türmen sich Berge von Asphaltschutt. Oftmals können die Gehwege nicht mehr benutzt werden.

Passanten müssen auf den Straßenrand ausweichen, was nicht ganz ungefährlich ist. Im Rahmen eines riesigen Erneuerungsprogramms entfernen Bauarbeiter-Brigaden aus Zentralasien die Asphaltdecke von den Gehwegen und verlegen künstliche Steine in grau und rosa.

Der neue Bürgermeister Sergej Sobjanin hat entschieden, die Gehweg-Erneuerung in der Urlaubszeit durchzuziehen. Vom Juli bis Oktober sollen eine Million Quadratmeter Gehweg-Asphalt durch quadratische Kunststeine ersetzt werden. Im russischen Internet brandete ein Protest-Sturm auf. Viele halten die Erneuerung für eine Maßnahme, mit der sich Beamte in der Stadtverwaltung bereichern. Es hält sich das Gerücht, an der Gehweg-Erneuerung sei auch die Frau des Bürgermeisters, Irina Sobjanina, beteiligt. Ihr gehört die Baufirma Aerodromdorstroj, welche im sibirischen Tjumen-Gebiet Straßen baut.

Doch der Verdacht, dass an den Baumaßnahmen in Moskau wieder mal die Familie des Bürgermeisters mitverdient (wie beim geschassten Ex-Bürgermeister Juri Luschkow) ist nicht die einzige Kritik. Die Moskauer Damenwelt klagt, dass man auf den neuen Trottoirs mit dem spitzen Absatz zwischen den Kunststeinen hängen bleibt.

Bürgermeister Sobjanin hatte die Erneuerung der Gehwege damit begründet, dass Kunststeine haltbarer seien als der Asphalt, der sich in der Sommerhitze verformt. Doch damit die Steine im Winter nicht stark vereisen, müssen sie sehr akkurat verlegt werden, wenden Kritiker ein – und die Bauarbeiter aus Zentralasien, seien dafür nicht ausgebildet.

„In Russland gibt es zwei Übel“, sagt ein Sprichwort, „Dummköpfe und schlechte Straßen“. Dieser Spruch hat etwas Fatalistisches. Doch in dem Satz steckt auch viel Wahrheit. Denn wie ist es zu erklären, dass in Moskau immer noch Asphalt nach Sowjet-Technologie verlegt wird, der nach jedem Winter ausgewechselt werden muss, wie Verkehrsminister Igor Lewitin kürzlich eingestand. Allen Modernisierungs-Reden von Präsident Medwedjew zum Trotz hat man für das Asphalt-Problem also immer noch keine Lösung gefunden. „Es gibt keinen Anreiz für Innovationen“, meint Dmitri Leontew vom „Zentrum für Sicherheit auf russischen Straßen“.

Böse Stimmen meinen, es lasse sich wohl schon ein Asphalt anrühren, der länger als einen Winter hält, bloß würde dann nicht mehr soviel Geld in den Straßenbau fließen und manch Beamter wäre um das Geld gebracht, was er dabei in die eigenen Taschen abzweigt. Gegen derartige Verdächtigungen wissen sich die Beamten schon zu wehren. Moskaus geschasster Bürgermeister, Juri Luschkow, wälzte die Schuld für die ständigen Straßenreparaturarbeiten einfach auf die Autofahrer ab. Deren Spikereifen würden den Straßenbelag zerstören.

Inzwischen sind die Bauarbeiter-Brigaden schon bis vor meine Wohnung in einem Moskauer Außenbezirk vorgedrungen. Eines Morgens wurde ich von dem unerbittlichen Presslufthämmern geweckt. Auf den Gehwegen in meinem Wohnbezirk werden allerdings keine teuren Kunststeine verlegt, sondern nur neuer Asphalt aufgegossen.

veröffentlich in: Sächsische Zeitung

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