Putin mischt die Karten neu
Russland will die Krise zwischen der Türkei und der EU zur Stärkung der eigenen Position nutzen
Moskau. Das Treffen von Präsident Wladimir Putin und Präsident Recep Tayyip Erdogan im Konstantinpalast bei St. Petersburg war das erste Treffen nach acht Monaten Eiszeit. Die beiden Präsidenten schüttelten sich freundlich lächelnd die Hände und zogen sich zu einem zweistündigen Gespräch zurück.
Im November 2015, als ein russisches Kampfflugzeug vom Typ Su 24 von einer türkischen Militärmaschine abgeschossen worden war, wartete die Welt gespannt, was nun passiert. Wird Moskau militärisch reagieren? So weit ging Russland nicht. Doch es kamen heftige Worte und drastische Wirtschaftssanktionen. Russische Charterflugzeuge mit Touristen flogen die Türkei nicht mehr an. Türkische Händler blieben auf Obst und Gemüse sitzen, was bisher in Russland guten Absatz gefunden hatte. Über Erdogan konnte man in den russischen Medien bis zum Putschversuch in der Türkei nichts Positives mehr lesen.
Putin erklärte zum Beginn der Gespräche, die Beziehungen seien auf "ein sehr niedriges Niveau" gesunken. Er sei einer der Ersten gewesen, der den türkischen Präsidenten nach dem Putschversuch im Juli angerufen habe. Russland sei immer gegen "nicht verfassungsmäßige Handlungen" aufgetreten. Dies war vermutlich eine Anspielung auf den Machtwechsel in Kiew 2014.
Nach der zweistündigen Unterhaltung der beiden Präsidenten wurden die Gespräche in einem erweiterten Format fortgesetzt. Die Unterzeichnung von Vereinbarungen war nicht geplant, wohl aber die Erörterung von Wirtschaftsprojekten wie dem Bau des Atomkraftwerkes Akkuju in der Türkei und dem Bau der Turkish-Stream-Gaspipeline durch das Schwarze Meer.
Dass die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara in Windeseile enteist werden, hat damit zu tun, dass sowohl Ankara als auch Moskau sich vom Westen bedrängt fühlen. Moskau kritisiert die westliche Einmischung in der Ukraine, und Erdogan fürchtet eine Destabilisierung seines Regimes durch die Gülen-Bewegung, dessen Chef in den USA lebt.
Ende Juni hatte sich Erdogan in einem Brief an Putin für den Abschuss des Flugzeuges entschuldigt. Man sei auch bereit, die Schmerzen der Familie des getöteten Piloten zu lindern, hieß es in dem Schreiben. Kurz darauf hatten Putin und Erdogan ein Telefongespräch geführt. Nach diesem Gespräch hatte Putin angeordnet, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit der Türkei wieder aufzunehmen.
Leonid Iwaschow, Präsident der Akademie für geopolitische Fragen, meinte in einem Interview mit der "Komsomolskaja Prawda", Erdagon habe bisher "die amerikanischen Interessen" in der Region um die Türkei vertreten, doch nun sei er aus Sicht Washingtons offenbar "verbraucht". Aus diesem Grund müsse Moskau heute die Chance ergreifen und sich als "geopolitisches Zentrum Eurasiens" stärken, die Beziehungen zum Iran und Ägypten verbessern und die Staatlichkeit Syriens wieder herstellen. Man müsse versuchen, die Türkei in eine "stabile und sichere Region einzubinden". Das könne die Kräfteverteilung in der Welt verändern. Europa und Amerika würden sich dann Russland gegenüber "freundlicher verhalten".
Volkan Özdemir, Lehrer für Eurasische Forschungen an der Technischen Universität von Ankara, erklärte in einem Interview mit der "Nesawisimaja Gaseta", die Schlüsselfrage in St. Petersburg sei, ob Moskau die Unterstützung der syrischen Kurden einstelle und Ankara im Gegenzug die Versuche beende, das Regime Assad in Syrien zu stürzen. Für die Türkei beginne jetzt eine "neue Epoche". Nach dem Putsch versuche Ankara jetzt eine "mehr ausbalancierte" Außenpolitik.
Die erfolglose Konzeption des "Neoosmanismus" werde abgelöst durch eine Politik, bei der die territoriale Integrität der Nachbarstaaten anerkannt werde. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Türkei ihre politischen und wirtschaftlichen Kontakte zu China und Russland verstärke.
veröffentlicht in: Hamburger Abendblatt