Russlands Staatsfeind Nummer eins
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
In einer am Montag veröffentlichten Videobotschaft übernahm Doku Umarow, der sich selbst als „Emir des Kaukasus“ bezeichnet, die Verantwortung für den Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo, bei dem am 24. Januar 36 Menschen getötet und 180verletzt wurden. Umarow, der einen langen Bart und eine nagelneue grüne Fleckenuniform trug, drohte darin, es werde künftig „noch aggressivere Spezialoperationen“ geben.
Der Rebellenführer versuchte den Eindruck zu erwecken, die Aktionen der tschetschenischen Kämpfer seien Teil eines weltweiten Kampfes der Moslems gegen „die großen Mächte“ USA, Israel, Russland und China. Der Ultra-Radikale wird allerdings von den gemäßigten tschetschenischen Separatisten um den in London lebenden Ex-Außenminister Tschetscheniens, Achmed Sakajew, nicht als Führer anerkannt.
Ein Sprecher der Moskau-loyalen tschetschenischen Polizei versuchte denn auch, die martialische Erklärung von Umarow herunterzuspielen. Die Bekenner-Erklärung sei „Unsinn“, Umarow würde schon seit Langem „niemanden mehr kommandieren“. Tatsächlich ist zumindest erstaunlich, dass sich der angebliche Terroristen-Chef mit seinem Bekenner-Video fast zwei Wochen Zeit ließ.
Autonom agierende Gruppen
Der von Wladimir Putin eingesetzte Präsident Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, hat Umarow schon mehrmals zum Aufgeben aufgefordert und behauptet, der „Emir“, der sich irgendwo in den Wäldern des Nordkaukasus versteckt, sei „ernsthaft krank“. Er habe „keinen einzigen Zahn mehr im Mund“ und „seine Beine faulen wegen Unterkühlungen“. Immerhin aber scheint Umarow noch so gesund, dass er nach jedem größeren Terrorakt in Russland per Video Bekenner-Botschaften abgeben kann, so nach dem Anschlag auf den Newski-Express im November 2009 und dem Anschlag auf die Moskauer U-Bahn im März 2010.
In dem Bekenner-Video, welches von dem extremistischen Internetportal kavkazcenter.com veröffentlicht wurde, erklärt der 46-jährige gelernte Ingenieur Umarow, seine Kämpfer würden die „Spezialoperationen“ erst beenden, „wenn Russland sich entschließt, den Kaukasus zu verlassen“. Umarow bezeichnet sich seit Oktober 2007 Oberkommandierender aller islamistischen Untergrundkämpfer in den nordkaukasischen Republiken Dages-tan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien.
Der Vizechef des Duma-Sicherheitskomitees, Gennadi Gudkow, erklärte gestern am Rande einer geschlossenen Duma-Sitzung, auf der über den Anschlag von Domodedowo beraten wurde, das größte Problem mit dem Terrorismus in Russland sei, dass die Terroristen „kein einheitliches Zentrum“ hätten. Es gäbe viele autonom agierende Gruppen. Auch der Anschlag in Domodedowo sei von einer autonom agierenden siebenköpfigen Gruppe ausgeführt worden.
Bereits am Sonnabend war auf dem gleichen Internetportal ein Video aufgetaucht, in dem Umarow Russland mit einem Jahr „von Blut und Tränen“ drohte. Man werde wöchentlich oder monatlich, „so Allah es will“, Anschläge ausführen. In dem Video sind außer Umarow zwei weitere Männer zu sehen, ein gewisser „Emir Chamsat“, der als Chef der Selbstmordattentäter-Brigade „Rijadus-Salichin“ (Gärten der Tugendhaften) auftrat, sowie ein junger Selbstmordattentäter mit dem Namen „Sejfullach“. Bei Letzterem handelte es sich möglicherweise um den von den russischen Sicherheitsbehörden inzwischen identifizierten Attentäter, der die Bombe im Moskauer Flughafen trug und bei der Explosion umkam.
Attentäter identifiziert
Russische Medien berichteten, bei dem Flughafen-Attentäter handele es sich um Magomed Jewlojew aus dem inguschetischen Dorf Ali-Jurt. Der 20-Jährige hatte eine Ausbildung als Buchhalter abgebrochen und im September 2010 sein Elternhaus verlassen, angeblich weil er Arbeit suchen wolle. Seine Mutter ist Grundschullehrerin, der Vater Busfahrer. Ein Bruder und eine Schwester Jewlojews wurden inzwischen verhaftet.
veröffentlicht in: Sächsische Zeitung