Schlagende Argumente
Sondereinheiten gingen in Moskau mit Gewalt gegen die Teilnehmer eines Protestmarsches vor
9 000 Polizisten und 250 Verhaftungen — mit Schlagstöcken und Staatsgewalt reagierte die Obrigkeit in Moskau auf friedlich demonstrierende Oppositionelle.
Fassungslos standen sie vor den Absperrgittern, die Moskauer, die zum „Marsch der Nicht-Einverstandenen“ auf den Puschkin-Platz gehen wollten. Mit schweren Armaturen ausgerüstete Polizisten der OMON-Sondereinheit hatten die Fläche hermetisch abgeriegelt.
Mannschaftstransporter reihten sich dort an Einsatz-Jeeps. Durch die Wartenden streiften Trupps der Sondereinheit und griffen sich willkürlich Menschen heraus. Im Minutentakt fuhren Gefangenentransporter mit Verhafteten ab.
Kurz vor der für 12 Uhr geplanten Kundgebung der „Nicht-Einverstandenen“ wurde der Organisator und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow festgenommen. Vor der Abfahrt zur Revierwache rief er auf Englisch Fernsehreportern zu: „Sagen Sie Ihren Staatschefs, dass das hier ein Polizeistaat ist.“ Verhaftet wurden nach Angaben der Polizei 250 Menschen, darunter auch andere bekannte Oppositionelle wie Sergej Udalzow, Führer der „Avantgarde der roten Jugend“, oder Mascha Gajdar, die Tochter des bekannten Reformers und ehemaligen Finanzministers.
Vom Puschkin-Platz hörte man unterdessen die Reden von Vertretern der „Jungen Garde“, einer Kreml-nahen Jugendorganisation, deren Kundgebung genehmigt worden war: „Wir sind nicht rechts und nicht links, wir sind für Russland.“ Sie belagerten nicht nur den Puschkin-Platz, sondern auch den Platz vor dem Hauptgebäude der Lomonossow-Universität. 15 000 Jugendliche aus ganz Russland kamen für eine Pro-Putin-Kundgebung nach Moskau. Während die Polizei am Puschkin-Platz Oppositionelle festnahm, konnte die Kreml-Jugend auf höchste Plätze aufsteigen. Auf dem Dach des Iswestija-Gebäudes brannten Mitglieder der Organisation „Junges Russland“ Leuchtfackeln ab und entfalteten ein Transparent mit der Aufschrift „Gruß an die politischen Valuta-Prostituierten“. Auf ihren Flugblättern hieß es, Kasparow sei eine Marionette von George Bush. Das eigentliche Ziel der Opposition sei es, die russischen Atomwaffen unter die Kontrolle der USA zu stellen.
Rund 1 500 „Nicht-Einverstandene“ zogen trotz starker Polizei-Präsenz zum Turgenew-Platz, wo das Innenministerium eine Kundgebung erlaubt hatte. Die Polizei machte mehrmals massiv von Schlagstöcken Gebrauch. Liberale und Linke riefen „Für ein Russland ohne Putin“ und „Wir brauchen ein anderes Russland“.
Eine kleine Gruppe von Anhängern der Nationalbolschewistischen Partei mit Hammer-und-Sichel-Fahnen und Leuchtfackeln rief: „NBP, Volk, Ordnung“ und „Revolution“. Der Satiriker Viktor Schenderowitsch bat die Nationalbolschewisten, auf ihr Revolutions-Geschreie zu verzichten. Der von Putin 2003 entlassene Ministerpräsident Michail Kasjanow sagte: „Wir erreichen eine Änderung des Kurses durch Wahlen. Aber wir fordern keine Imitation von Wahlen, sondern ehrliche und freie Wahlen.“
Unter den Festgenommenen waren mehrere russische Journalisten, wie der Korrespondent von Russkij Newsweek sowie zwei Mitarbeiter des ZDF, die nach Intervention der Deutschen Botschaft wieder freigelassen wurden. Kasparow wurde vom Twerskoj-Stadtgericht wegen „Teilnahme an einem nicht genehmigten Marsch“ zu einer Geldstrafe von umgerechnet 28 Euro verurteilt und am Abend freigelassen. Der Verurteilte will das Urteil anfechten.
Moskauer Deutsche Zeitung