20. August 2011

UdSSR-Nostalgie statt Visionen

Leitartikel zu Russland 20 Jahre nach dem Putsch gegen Gorbatschow

Regensburg (ots) - Am 19. August 1991 starteten Altkommunisten einen dilettantischen Versuch in Moskau, mit Panzern die alte Ordnung wieder herzustellen. Der russische Durchschnittsbürger versucht, dieses geschichtsträchtige Datum zu verdrängen, denn es erinnert an den Zerfall eines großen Staates.

Aus dem Datum lässt sich keine Kraft für das Leben heute schöpfen. Also erinnert man sich lieber nicht daran. Die Medien erinnern an den schicksalhaften Tag nur am Rande und der Kreml ist völlig auf Sendepause gegangen. Was aus westlicher Sicht logisch, ja unausweichlich war, der Zerfall der Sowjetunion in 15 Einzelrepubliken, hat für die Russen etwas Schmerzliches. Immerhin gab es in dem Großreich mit dem Namen UdSSR nicht nur Gulag und Repression, sondern auch so manchen wissenschaftlichen Erfolg und sogar den ersten Flug eines Menschen in den Weltraum. International anerkannt war die Ausbildung an sowjetischen Schulen und Universitäten. Ohne russische Software-Tüftler, Genetiker und Physiker stünde heute so manches westliche Software-Unternehmen und Forschungs-Institut sehr viel schlechter da. Tatsache ist aber auch: Der Zusammenbruch der Sowjetunion war unausweichlich, denn den positiven Faktoren standen zu viele negative gegenüber. Der zentralistisch geführte Staat zermürbte die Bürger, indem er ihre kreative Energie abwürgte und ihnen die Verantwortung für ihr Handeln nahm. Der stalinsche Verwaltungsmechanismus habe sich bis heute erhalten, kritisiert Ex-Präsident Michail Gorbatschow ziemlich wortgewaltig und hat im Kern doch Recht. Auch heute traut der Kreml seinen Bürgern nicht. Die Kreml-Partei "Einiges Russland" sei mit ihrem Machtmonopol der KPdSU sehr ähnlich, warnt Gorbatschow, der seine Erfahrung mit einer führenden aber erstarrten Partei machen musste. Die Funktionäre der KPdSU interessierten sich Ende der 1980er Jahre nicht mehr wirklich für Gorbatschows Programme Perestroika und Glasnost (Umbau und Transparenz). Ein Teil der Funktionäre bereitete sich auf den Start in den Kapitalismus vor und war nur an der Sicherung der eigenen Pfründe interessiert, ein anderer war davon überzeugt, der Erhalt des Riesen-Imperiums sei die Schlüsselfrage überhaupt. Gorbatschows Mittelweg erschien den praxiserfahrenen Funktionären wie ein Wolkenschloss. Im heutigen Russland erleben die Bürger nun, dass Konsum und Reisen allein nicht glücklich machen. Es fehlt eine Zukunfts-Vision für das große Land. Die Lücke füllt die Nostalgie. Niemand will Stalins-Straflager zurück und das Flüstern aus Angst, ein KGB-Mann könne mithören. Doch wenn Flugzeuge und Satelliten abstürzen, Ausflugsschiffe versinken, Staudamm-Turbinen bersten und die Staatsbediensteten bei jeder Dienstleistung die Hand für ein Schmiergeld aufhalten, dann wird der Ruf nach einer starken Hand wieder laut. Und diese Hand soll viel stärker sein als die von Wladimir Putin. Russland geht heute mit einem Diktator schwanger und auch das weiche Polster der Dollars aus dem Öl- und Gas-Geschäft könnte zu einer harten Matratze werden, wenn nämlich die Weltwirtschaft in eine ernste Krise kommt. Dann könnten, wie schon 1988, Konflikte im Vielvölker-Staat Russland ausbrechen. Schon jetzt sind Jugend-Krawalle zwischen Russen und Kaukasiern keine Seltenheit. Eine Zukunfts-Vision für ein multinationales Russland hat der Kreml bisher nicht entwickelt. Wenn der Kreml nicht wirkliche Lehren aus dem Zerfall der Sowjetunion zieht, ist auch die Stabilität in Russland gefährdet.

veröffentlicht in: Mittelbayrische Zeitung

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