17. December 2009

Ungeliebter Reformer

Jegor Gajdar ist tot

VON ULRICH HEYDEN

Moskau – An diesem Kopf scheiden sich in Russland bis heute die Geister. Für Russen, die sich als Liberale bezeichnen, ist Jegor Gajdar, der gestern überraschend auf seiner Datscha bei Moskau starb, ein mutiger Wirtschaftsreformer, der mit unpopulären aber notwendigen Maßnahmen, wie der Preisliberalisierung und der Privatisierung den Weg in die Marktwirtschaft freimachte.

Bei den einfachen Russen steht der Name Gajdar jedoch bis heute für durch die Hyperinflation entwertete Sparguthaben und Renten und die Auflösung der Supermacht Sowjetunion. So war es kein Zufall, dass der erste russische Fernsehkanal Bilder von Gajdar im Dezember 1991 zeigte, als er an der Seite von Russlands Präsidenten Boris Jelzin in demweißrussischen Sanatorium Beloweschskaja Puscha an den Verhandlungen zur Auflösung der Sowjetunion teilnahm. Viele Russen habe diese Staats-Auflösung, die, so die öffentliche Meinung, von Gorbatschow faktisch begonnen und von Jelzin und Gajdar zu Ende geführt wurde, bis heute nicht verwunden.

Jegor Gajdar, der sich in den letzten Jahren aus der Politik zurückgezogen und auf die Arbeit in einem von ihmgegründeten kleinen Wirtschaftsinstitut konzentriert hatte, plagten schon länger gesundheitliche Probleme. Nach Meinung der Ärzte starb er an einer Thrombose, die sich gelöst hatte. Die Todesursache werde jedoch routinemäßig untersucht, hieß es aus russischen Sicherheitskreisen. Im Herbst 2006 erlitt Gajdar in Irland eine Herzattacke. Die Vermutung, er sei wie der in London lebende ehemalige FSB-Geheimdienst-Offizier Aleksandr Litwinenko mit Polonium vergiftet worden, bestätigten sich nicht.

Jegor Gajdar wurde 1956 in Moskau geboren. Sein Vater, Timur Gajdar, war Konter-Admiral und Militär-Korrespondent der „Prawda“ in Kuba und Afghanistan, sein Großvater der berühmte Kinderbuchautor Arkadi Gajdar, dessen 1940 erschienenes Kinder-Buch „Timur und sein Trupp“ zu Sowjetzeiten jeder kannte. Die Tochter des Verstorbenen, die 1982 geborene Maria Gajdar, machte in den letzten Jahren mit Straßenaktionen für die liberale Opposition von sich reden. Seit Anfang dieses Jahres ist die agile Gajdar-Tochter Mitglied der von einem liberalen Gouverneur geführten Gebiets-Regierung in der zentralrussischen Provinz Kirow.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde Gajdar Redakteur der Parteizeitungen „Prawda“und „Kommunist“. In der von Boris Jelzin 1991 gebildeten Regierung übernahm Gajdar den Posten des Finanzministers.Von 1992 bis 1994 war er Ministerpräsident, musste jedoch diesen Posten aufgeben, weil er in der Bevölkerung unbeliebt wurde.

"Südkurier"

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