29. February 2008

Wer ist Medwedjew?

Putins Kronprinz gibt sich siegessicher, aber hat der Sohn eines Professoren aus St. Petersburg das Zeug zum Präsidenten?

Dieser Auftritt hat Dmitri Medwedjew wohl Spaß gemacht: Letzte Woche besucht er eine Eishockey-Jugend-Mannschaft in Kasan an der Wolga. Am Spielfeld erinnert er sich an seine Jugend, als man die Kufen noch unter die Filzstiefel schnallte. Die Jungen, die jetzt übers Eis fegten, sind perfekt ausgerüstet. Umringt von den jungen Spielern lässt sich der Kronprinz filmen. Dann spricht er vor mehreren Tausend jungen Sportlern in einer Arena–Präsidenten-Wahlkampf in Russland.

Der 42-Jährige ist klarer Favorit. Fast wie ein Rockstar läuft er auf die Bühne, trägt ein helles Jackett und einen schwarzen Pulli. Die Massen jubeln. „Schwache werden geschlagen. Aber es werden auch die geschlagen, die keinen Kopf haben“, ruft er in die Menge. Russische Fahnen werden geschwenkt. „Wir wollen stark, klug und modern sein.“ Wieder Jubel. „Wperjod Rossija!“ (Vorwärts Russland!), ruft der Kronprinz. Selbstbewusstsein kommt an. Medwedjew verkörpert wie sein Ziehvater Putin das wirtschaftlich erstarkte Russland, das nach dem Willen des Kreml in einigen Jahren zu den stärksten Wirtschaftsmächten der Welt gehören soll.

Viele denken „Putin Plus“

Bei den jungen Wählern wird Medwedjew am Sonntag keine Probleme haben. In der älteren Generation gibt es dagegen viele Skeptiker. 38,5 Millionen Rentner muss Medwedjew überzeugen. Letzte Woche besucht er eine alte Frau in Baschkortostan und trank eine Tasse Tee mit ihr. Stolz erklärt er, die Rente habe sich in den letzten sieben Jahren fast verdoppelt. Die alte Dame wagt nicht zu widersprechen. Doch für ein Land, dessen Milliardäre die internationale Reichen-Liste mit anführen, ist die Bilanz kümmerlich. Mit einer durchschnittlichen Rente von 4000Rubel (110 Euro) sind die russischen Pensionäre heute auf die Hilfe ihrer Familien angewiesen. Der alten Dame verspricht Medwedjew, dass die Rente ab 2009 eineinhalb Mal höher als das Existenzminimum sein soll.

Putin erklärt immer wieder, er habe volles Vertrauen zu Medwedjew. „Ich kenne ihn mehr als 17 Jahre.“ Für die Russen ist das Bekenntnis des scheidenden Kreml-Chefs ein guter Grund, dem Kronprinzen aus St. Petersburg am Sonntag die Stimme zu geben. Medwedjew, das ist für die Russen so etwas wie „Putin Plus“. Für die Großstädter heißt das, Russland bleibt stabil, die Löhne steigen langsam, man kann Kredite aufnehmen und sich Autos und Wohnungen kaufen. Medwedjew betont bei seinen Auftritten, es gehe jetzt darum, das „menschliche Potenzial“ zu entwickeln. Zu diesem Zweck hat der Kreml nationale Programme aufgelegt. Die Landwirtschaft, der Wohnungsbau, die Krankenhäuser und die Schulen bekommen zusätzlich Geld. Das ganze Programm wird von Medwedjew geleitet und macht ihn landesweit bekannt.

Auf einem Wirtschaftsforum im sibirischen Krasnojarsk hält Medwedjew eine Grundsatzrede, die vor liberalen Bekenntnissen strotzt. Der Kronprinz sagt Korruption und „Rechts-Nihilismus“ den Kampf an. Richter dürften nicht mehr „auf Telefonanrufe“ hin oder „für Geld“ Urteile fällen. Die Beamten müssten „erkennen, dass die Gesellschaft ihr Arbeitgeber ist“. Bürger, die unter Behörden-Willkür leiden, müssten entschädigt werden. Freiheit sei ein Schlüsselbegriff der modernen Gesellschaft. Medwedjew spricht von der Bedeutung der „unabhängigen Medien“ und der „Meinungsfreiheit“, vom politischen Pluralismus spricht er nicht.

Putins Kronprinz wurde in Leningrad geboren–dem heutigen St.Petersburg. Er wuchs im Süden der Stadt, im Bezirk Kuptschino auf. Dort lebte Dmitri mit den Eltern in einer Zweizimmerwohnung mit 40 Quadratmetern im sechsten Stock eines Plattenbaus–normale Wohnverhältnisse für die einstige Sowjetunion. Sein Vater war Professor für Maschinenbau, seine Mutter Lehrerin für russische Sprache und Literatur. Er sei nicht streng erzogen worden, erinnert sich Medwedjew im russischen Magazin „Itogi“. Seinen Sohn Ilja erziehe er liberal. Seiner Frau Swetlana, die er in der siebten Klasse kennenlernte, sei das manchmal „zu liberal“.

Ein ganz normaler Junge

„Ich wuchs als Hofkind auf und habe viel Zeit auf der Straße verbracht,“ erzählt der Präsidentschaftskandidat. Hausaufgaben habe er „wenig gemacht“. Ein Stubenhocker will er auf keinen Fall gewesen sein. Seine Lehrerin dagegen erzählt, man habe ihn „selten auf der Straße mit Freunden getroffen.“ Lehrer und Professoren meinen, Medwedjew sei ein „ganz normaler Junge“ gewesen, aber immer besonders fleißig. Das Einzelkind versuchte sich zu stählen. Dmitri paddelte im Ein-Mann-Boot und stemmte Gewichte. Dafür bekam er an seiner Schule sogar einen Preis. Sein größter Traum waren „Jeans und Platten“. Er schwärmte für Deep Purple. Zum 15. Geburtstag von Gasprom, wo er seit 2000 Aufsichtsratsvorsitzender ist, lässt Medwedjew die Gruppe im Kreml aufspielen. Danach lächelt er mit den Musikern in die Kameras.

Mit 23 Jahren lässt er sich heimlich in einer russisch-orthodoxen Kirche in Leningrad taufen. „Die Entscheidung habe ich selbst getroffen,“ erzählt er. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Medwedjew sei jüdischer Herkunft. Eine israelische Zeitung berichtete darüber. Im russischen Internet wird das Thema heftig diskutiert. Doch die Moskauer Zeitungen schweigen zu den Gerüchten. Man möchte russischen Nationalisten nicht unnötig Futter liefern. Medwedjew war Komsomolze im kommunistischen Jugendverband. Er habe „das nicht als Belastung empfunden“.

Nachts an der Druckerpresse

1989 wird er mitgerissen von den stürmischen Entwicklungen im Land. Sein Lehrer, der Jura-Professor Anatoli Sobtschak, kandidiert 1989 für den Kongress der Volksdeputierten. Sobtschak tritt für Marktwirtschaft und politischen Pluralismus ein. Der KGB beschlagnahmt Sobtschaks Wahlkampf-Erklärung. Zusammen mit anderen Unterstützern druckt Medwedjew nachts eine neue Fassung. Später sagt er der Witwe Sobtschaks, er habe sich „wie Lenin gefühlt“, der die Untergrundzeitung „Iskra“ druckte.

Als Sobtschak 1991 Bürgermeister von St. Petersburg wird, holt er Medwedjew als Rechtsexperten ins Rathaus. Medwedjew arbeitet in der Abteilung Außenbeziehungen Verträge für Investitions-Projekte aus. Sein direkter Vorgesetzter wird Wladimir Putin. Gleichzeitig arbeitet der strebsame Jurist als Uni-Dozent. Außerdem wird er Co-Autor und schreibt an einem Lehrbuch für Zivilrecht mit. Doch das reicht dem strebsamen Juristen nicht. Er wird Geschäftsmann bei der Holzfirma Finzell, die später Anteile am größten russischen Holz-Produzenten Ilim Pulp erwirbt. Doch in Medwedjews offizieller Biografie fehlt diese Tätigkeit, das kommt bei den Wählern vielleicht nicht gut an.

Das Tandem

1999 wechselt Medwedjew von St.Petersburg nach Moskau. Boris Jelzin hat Wladimir Putin zum Ministerpräsidenten ernannt, und Putin macht den 13 Jahre jüngeren Medwedjew zum stellvertretenden Leiter des Regierungsapparates. Ab jetzt bedeutet jeder Karrieresprung von Putin auch ein Vorankommen für Medwedjew. Im Jahre 2000 wird er stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung und Aufsichtsratsvorsitzender von Gasprom. Unter Medwedjews Führung steigt der Konzern ins Mediengeschäft ein, kauft Zeitungen wie die „Iswestija“ auf und entmachtet die Kreml-kritische Redaktion des Fernsehkanals NTW um Jefgeni Kiseljow. Als der Yukos-Chef Michail Chodorkowski verhaftet wird, gibt es von Medwedjew verhaltene Kritik. Die Aktion gegen Yukos sei „nicht zu Ende durchdacht“, erklärt er.

Im November 2005 ernennt Putin seinen Ziehsohn zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Streit zwischen dem Tandem Putin–Medwedjew ist nie an die Öffentlichkeit gekommen. Zwischen beiden scheint kein Blatt Papier zu passen. Wird sich der Kronprinz jemals von seinem Ziehvater emanzipieren, fragen sich viele Russen? Ist Medwedjew nur eine Schachfigur in Putins Spiel? Die Antworten wird man erst in einigen Monaten kennen, wenn der neue Kreml-Chef Medwedjew und der neue Ministerpräsident Putin ihre Rollen getauscht haben.

"Sächsische Zeitung"

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