Zerstörte Hausfassade in Perwomajsk. Bild: Ulrich Heyden (2020)
Der Autor dieser Zeilen war Ende Januar selbst in der "Volksrepublik" Lugansk. Der Besuch einer Stellung der "Volkspolizei" an der Trennlinie wurde ihm nicht genehmigt. Eine Begründung wurde nicht genannt.
In Begleitung eines Mitarbeiters des Außenministeriums der "Volksrepublik Lugansk" (LNR) besuchte ich die an der Trennlinie zur Ukraine gelegenen Städte Kirowsk und Perwomajsk. Die beiden Städte liegen 80 Kilometer westlich von Lugansk. Fast sechs Jahr nach Kriegsbeginn im Donbass wollte ich mir einen persönlichen Eindruck verschaffen, wie die Lage an der Trennlinie zur Ukraine aussieht.
Aktuelle Karte der OSZE zu den Waffenstillstandsverletzungen im Januar
Wie begann der Krieg? Russische Truppen hätten die Ost-Ukraine besetzt, schreiben deutsche Medien. Aber ich habe in Lugansk keine russischen Truppen gesehen. Dass russische Militärs als Freiwillige in Lugansk im Einsatz sind, will ich nicht ausschließen. Aber Niemand hat sich mir gegenüber als russischer Militär vorgestellt.
Ein Schlüsseldatum des Krieges war für die "Volksrepublik Lugansk" der Einsatz der ukrainischen Luftwaffe am 2. Juni 2014 gegen Ziele im Stadtgebiet Lugansk. Nach Angaben der Polizei von Lugansk und Experten wurden von ukrainischen Suchoi-Kampfflugzeugen 20 Raketen auf die Gebietsverwaltung von Lugansk abgefeuert. Acht Menschen starben.
Nun bin ich also in der "Volksrepublik Lugansk", um mir selbst einen Eindruck zu verschaffen. Unser Auto hält in der Stadt Kirowsk vor einem Gebäude der Stadtverwaltung. In dem Gebäude hat die Redaktion der Zeitung "Informazionnyj Westnik" ihren Sitz. Das vom Ministerrat der LNR herausgegebene Blatt erscheint einmal in der Woche.
Die Chefredakteurin, Olga Stepanowa, eine Frau in mittlerem Altern hat blonde Haare und trägt ein schickes dunkelblaues Kleid. Sie zeigt die sechs Redaktionsräume. In den Räumen wird nicht nur eine Zeitung, sondern auch ein Radio- und ein Fernsehprogramm für die Stadt Kirowsk produziert. Information ist in Kriegszeiten ein wichtiges Mittel, um Panik in der Bevölkerung entgegenzuwirken und den Menschen - trotz beschädigter Infrastruktur - bei der Bewältigung des Alltags zu helfen.
"Informazionnyj Westnik" berichtet über Probleme bei der Wasserversorgung. Die Versorgung mit Wasser über die Trennlinie aus der Ukraine ist seit dem Krieg um 60 Prozent zurückgegangen. Es gibt Berichte über die Feierlichkeiten zum Neuen Jahr, über das Leben einer Lehrerin, die Kinder im Tanz unterrichtet, und Ratschläge für werdende Mütter. Außerdem berichtete die Zeitung über einen neuen Schulbus, der den gefährlichen Weg für Schulkinder aus umliegenden Dörfern sicherer machen soll.
Nach dem offiziellen Teil unseres Besuches geht die Chefredakteurin zum gemütlichen Teil über. Sie lässt belegte Brote und eine Flasche Wodka bringen. Wir sprechen Trinksprüche auf Frieden und Gesundheit aus. Doch plötzlich wummern Artilleriegeschütze. Ich gucke aus dem Fenster auf die Straße und kann es kaum glauben: Die Menschen gehen ruhig weiter ihres Weges und drehen sich noch nicht mal um. Olga Stepanowa meint zu mir: "Wenn Sie ein richtiger Journalist wären, würden Sie jetzt rausgehen und den Krach draußen mit einem Mikrofon aufnehmen." Die Chefredakteurin hatte das in einem scherzhaften Ton gesagt. Doch ihre Mahnung war durchaus ernst gemeint. Die Menschen in der Volksrepublik Lugansk haben generell das Gefühl, dass die internationale Gemeinschaft sie vergessen hat und die Beschießungen der ukrainischen Armee auf Wohngebiete nicht ernst nimmt.
Das Wummern der Artilleriegeschütze dauerte etwa eine halbe Stunde. Die Menschen in der LNR haben ihre eigene Erklärung für die immer neuen Beschießungen der ukrainischen Armee. Manche sagen: "Die müssen Munition verbrauchen." Es gehe darum "ein Plansoll" zu erfüllen.
Wenn es eine Logik in diesen immer wiederkehrenden Beschießungen gibt, dann ist es meiner Meinung nach das Ziel, die Bevölkerung der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk mürbe zu machen und zu verhindern, dass die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt.
Wir besuchten auch die westlich von Kirowsk gelegene Stadt Perwomajsk. Die Fahrt dorthin war schön. Die Sonne schien. Und die leichte Schneedecke auf den Feldern glänzte so weiß und unschuldig, dass man an alles andere dachte, nur nicht an Krieg. Doch als wir durch Perwomajsk fahren höre ich aus der Ferne zweimal das Wummern von Artilleriegeschützen.
In Perwomajsk lebten vor dem Krieg 38.000 Menschen. In der Stadt gibt es sechs stillgelegte Kohlebergwerke und hohe Plattenbauten, aber auch viele kleine Häuser. An vielen Fassaden und Balkons sieht man noch die Spuren von Geschoss-Splittern. Doch in der heißen Kriegsphase 2014/15 zerschossene Fenster und Dächer wurden ausgewechselt und repariert. Die Trümmer von eingestürzten Häusern wurden weggeräumt. Aber man sieht immer noch schwer beschädigte Gebäude.
Auch Oleg Orlow von der Kreml-kritischen Moskauer Menschenrechtsorganisation "Memorial", der Ende 2014 Perwomajsk besuchte, war schockiert. In seinem Blog berichtete berichtete Orlow, "einige Bezirke dieser Stadt wurden von der ukrainischen Artillerie faktisch völlig zerstört. In der Stadt gibt es praktisch kein Haus, welches nicht auf die ein oder andere Weise beschädigt wurde."
Während der heißen Kriegsphase 2014/15 lebten die Menschen in Perwomajsk in den Kellern ihrer Häuser. Gekocht wurde auf dem Hof. Die Menschen meinten damals, ihre Stadt sei so zerstört worden "wie Stalingrad".
Ein Teil der Bevölkerung flüchtete in die Ukraine oder nach Russland. Es gab kaum noch Trinkwasser und nicht genug zu essen.
In der Stadtverwaltung von Perwomajsk werde ich Zeuge einer Bürgerversammlung. Etwa 25 Frauen - zum Teil mit Kindern - ließen sich von Mitarbeitern der Lugansker Menschenrechtsorganisation Memorial beraten, wie sie als Geschädigte des Krieges Klagen auf Entschädigung beim Europäischen Gericht für Menschenrechte in Straßburg einreichen können. Warum nur Frauen gekommen sind? "Die Männer arbeiten", wurde mir erklärt.
Bürgerinnen von Perwomajsk bereiten ihre Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor. Bild: Ulrich Heyden (2020)
Insgesamt 600 Klagen von durch ukrainische Geschosse Geschädigte aus dem Frontgebiet der "Volksrepublik Lugansk" wurden mit Hilfe von Memorial-Lugansk schon beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingereicht, erklärt Sergej Below von Memorial- Lugansk. Außerdem seien 300 Klagen wegen ukrainischer Kriegsverbrechen und "Genozid" beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht worden.
Tatjana Taranow klagt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Bild: Ulrich Heyden (2020)
Eine der Teilnehmerinnen der Beratung ist Tatjana Taranow. Die 43 Jahre alte Frau hat im Zweigwerk des Flugmotoren-Herstellers Motor-Sitsch gearbeitet, bis sie im Zuge einer Personalreduzierung entlassen wurde. Tatjana erzählt, warum sie die Klage in Straßburg einreicht. Sie habe die Wohnung ihres Vaters geerbt. Diese Wohnung sei am 6. August 2014 von einer ukrainischen Sprengbombe zerstört worden.
Die Wohnung lag in einem viergeschossigen Mehrfamilienhaus in der Charkowskaja-Straße Nr. 8. Das Geschoss sei von der westlich gelegenen Stadt Popasnaja abgeschossen worden, ist sich Tatjana sicher. Der gesamte Teil des Hauses, wo ihre Eltern wohnten und sie selbst aufwuchs, sei durch den Einschlag der Bombe ausgebrannt. Mehrere ausgebombte Familien aus der Charkowskaja Straße hätten schon Klagen in Straßburg eingereicht. Tatjana liest aus ihrem Schreiben an das Gericht in Straßburg vor:
An dem militärischen Konflikt mit der Ukraine haben wir nicht teilgenommen und nehmen wir nicht teil. Das Gericht, welches für die Klärung der Angelegenheit verantwortlich ist, liegt auf der anderen Seite der Trennlinie. Dorthin kann ich nicht gehen, ohne mein Leben in Gefahr zu bringen.
Tatjana Taranow
Für den moralischen Schaden fordert Tatjana 100.000 Euro und für das verbrannte Eigentum ihres Vaters 40.000 Euro. Das ausgebrannte Haus in der Charkowskaja-Straße sei komplett wiederhergestellt worden - erzählt Tatjana - aber noch nicht zugänglich, da es nur im Rohbau - ohne Putz und Tapeten - wiederaufgebaut wurde.
Warum sie die Klage eingereicht habe, will ich wissen. "Mein Vater hat sein ganzes Leben lang als Polizist der Ukraine gearbeitet. Er verdient Achtung." Alles, was in der Wohnung des Vaters war, seine Uniform mit seinen Orden, die gesamte Kleidung und die persönlichen Dokumente seien verbrannt. "Die Leute rannten aus dem Haus mit dem, was sie gerade anhatten."
Die Bombardierung seines Hauses hat der 79 Jahre alte Vater von Tatjana überlebt, weil er schon Tage vor dem Beschuss in einen Keller umgezogen war und dann von seiner Tochter aufgenommen wurde. Den Zweiten Weltkrieg hatte der Vater als Kind erlebt. Den Angriff auf Perwomajsk und die Folgen haben ihm dann stark zugesetzt. Tatjana erzählt, wegen des Stresses und einer Gefäßkrankheit im Kopf sei ihr Vater vor einem Jahr gestorben.
Der Stress treibt alte Menschen in den Tod. Aber auch Kinder leiden. Eine junge Mutter mit blonden Haaren hat zu der Bürgerversammlung in der Stadtverwaltung ihren Sohn mitgebracht. Sie erzählt, er leide sehr unter dem Krieg. Immer wieder entleere sich sein Darm in die Hose. Auch andere Eltern erzählen mir, dass sich ihre Schulkinder tagsüber einnässen.
Die Wirtschaft in der Frontstadt Perwomajsk läuft auf Sparflamme. Die Löhne liegen durchschnittlich bei 100 Euro. Viele Männer sind nach Russland gefahren, wo sie im Monat bis zu 1.400 Euro verdienen können.
Wie die Stadtverwaltung berichtet, wurden wegen der Beschießungen von Seiten der ukrainischen Armee alle sechs Kohlebergwerke stillgelegt. Nur Unternehmen aus den Bereichen Nahrungsmittelindustrie, Maschinenbau und Metallurgie seien noch in Betrieb, so die Stadtverwaltung.
2015 sank die Einwohnerzahl von 38.000 auf 18.000 Menschen. Wie viele inzwischen wieder zurückgekehrt sind, kann uns keiner sagen.
An der Poljusnaja Straße, nicht weit vom Stadtzentrum, steht die neu gebaute evangelische "Wiederauferstehungs-Kirche". 2014 schlugen neben der Kirche ukrainische Geschosse ein (Video). Die Kirche aus roten Backstein und silber-schimmernden Zwiebeltürmen brannte aus. Die hohen Kirchenfenster sind heute mit Holzplatten notdürftig verschlossen.
Vor der Kirche gibt es einen großen Platz, auf dem im August 2017 ein Gedenkkomplex für die Opfer des Krieges und umgekommene Kämpfer eingerichtet wurde. Nicht weit von einem unbehauenen großen Stein mit einer Gedenkplatte, steht Militärgerät, mit dem sich die Separatisten verteidigten, zwei von der ukrainischen Armee erbeutete Panzer und eine Haubitze.
Wie hoch sind die Opferzahlen für die "Volksrepublik Lugansk" in den sechs Kriegsjahren? Letztes Jahr gab die Staatsanwaltschaft der LNR bekannt, man habe den Tod von 2954 Bürgern, den Tod von 29 Kindern sowie 1296 Verletzte dokumentiert. "Faktisch", so heißt es in einer Erklärung der Staatsanwaltschaft, sei die Zahl der Geschädigten in der LNR aber "weit höher".
Am Rande des Gedenkplatzes befrage ich Olga, eine Anwohnerin in mittlerem Alter, die gerade vorbeikommt. Olga ist Lehrerin an der Schule Nr. 6. Sie hat blonde Haare und trägt einen schwarzen Pelz mit Kapuze.
Wieviel Menschen sind während des Krieges gestorben?
Olga:Mehrere Tausend.
Wo wurden diese Menschen beerdigt?
Olga:Die Toten wurden zunächst dort beerdigt, wo sie starben. Dann wurden sie auf Friedhöfe umgebettet. Denn während der Bombardierungen konnte man die Menschen nicht normal beerdigen. Viele Menschen wussten nicht, dass ihre Angehörigen gestorben sind. Sie haben sie dann aber auf Video-Dokumentationen gesehen.
Kommt es jede Nacht zu Beschießungen?
Olga:Nicht nur nachts. Als ich jetzt hierherging, habe ich gehört, dass irgendwo geschossen wurde. Im letzten Jahr, am 20. Juli, sind Geschosse zu einem Haus geflogen. Das war im Wohnbezirk "40 Jahre Sieg". Eine Frau starb. Sie war nach draußen gegangen, um ihren Hund auszuführen. Da wurde sie getroffen. Die Frau war etwas über 50 Jahre alt.
Wie reagierte die Bevölkerung?
Olga:Die Menschen waren erschüttert, denn sie waren es schon nicht mehr gewohnt, dass man auf die Stadt schießt. Die Kinder haben Angst.
In der Eingangshallte der Stadtverwaltung hängt eine große Gedenktafel für gefallene Kämpfer der "Volksrepublik Lugansk". Man sieht die Porträts von 29 Soldaten des "1. Kosaken-Regiments". Die Männer tragen schwarze Fellmützen und Militäruniformen. Sie starben bei den Kämpfen mit der ukrainischen Armee in den Jahren 2014 bis 2016. Sie organisierten die Verteidigung der Stadt Perwomajsk gegen die ukrainischen Truppen.
Gleich das erste Bild in der Eingangshalle zeigt den getöteten Bürgermeister von Perwomajsk, Jewgeni Ischenko (Video, englische Untertitel: Ischenko spricht am 28. September 2014 auf einer Bürger-Versammlung unter freiem Himmel).
Der Lebenslauf von Ischenko ist typisch für die Feldkommandeure, welche sich 2014/15 mit von der ukrainischen Armee erbeuteten Waffen und Freiwilligen aus der Ost-Ukraine und Russland den ukrainischen Truppen und rechtsradikalen ukrainischen Freiwilligenbataillonen entgegenstellten.
Jewgeni Ischenko wurde in Perwomaisk geboren. Er machte in seiner Heimatstadt eine Ausbildung zum Bergwerkstechniker, arbeitete dann wegen höherem Lohn im nordrussischen Workuta und kehrte - als der Krieg begann - in seinen Geburtsort zurück. Das damalige Oberhaupt der "Volksrepublik Lugansk" - Igor Plotnizki - ernannte Ischenko zum Bürgermeister der Stadt Perwomajsk.
Doch im Dezember 2014 kritisierte Ischenko die Leiter der "Volksrepubliken" dafür, dass sie das Minsker Abkommen unterzeichneten, denn die Ukraine fahre fort, die Stadt Perwomajsk mit schwerer Artillerie zu beschießen.
Im Januar 2015 starb Jewgeni Ischenko im Alter von 48 Jahren zusammen mit drei Freiwilligen aus Russland, welche die humanitäre Hilfe für Perwomajsk organisierten, als das Auto, in dem die Vier saßen, von Unbekannten beschossen wurde.
Zum Schluss meines Aufenthaltes in Perwomajsk besuchte ich das städtische Krankenhaus, welches am Rande der Stadt liegt. Der 65 Jahre alte Chefarzt Nikolai Suchow hätte schon lange in Rente gehen können, aber er ist noch im Einsatz. Er sagt, in der heißen Kriegsphase hätten viele Ärzte das Krankenhaus verlassen. Da habe er nicht auch noch gehen können. Er habe mit acht Ärzten weitergemacht. Heute arbeiten in dem Krankenhaus 50 Ärzte, vor allem Chirurgen und Anästhesisten.
Auf das zweistöckige Krankenhaus fielen 2014/15 Bomben. Das Dach war zerstört, erzählt der Chefarzt. Die Schäden wurden repariert. Heute macht das Krankenhaus einen sehr ordentlichen und sauberen Eindruck. Es hat 250 Betten, von denen nach Aussage des Chefarztes 192 belegt sind. Dass nicht alle Betten belegt sind, hänge mit der Migration zusammen. "Immer wenn geschossen wird, verlassen Menschen die Stadt. Wenn es ruhig ist, kommen sie wieder."
In dem Krankenhaus wird vor allem Erste Hilfe geleistet. Weil das Krankenhaus nur drei Kilometer von der Trennlinie zur Ukraine entfernt liegt, kämen viele Menschen mit Splitterverletzungen von Geschossen. Viele Menschen fragten aber auch um psychologische Hilfe an, die ebenfalls geleistet werde. Erste Hilfe könne man in vollem Umfang leisten. Bei weiteren Behandlungen müsse man sehen, ob man die nötigen Medikamente habe. Gewöhnlich würden bei einer Weiterbehandlung Medikamente von den Verwandten besorgt.
Die Krankenschwestern Lena, Sweta, Jelena und Alona. Bild: Ulrich Heyden (2020)
In einem Behandlungszimmer mit sechs Betten treffe ich die Krankenschwestern Lena, Sweta, Jelena und Alona. In der heißen Kriegsphase habe man an drei OP-Tischen gearbeitet, erzählt Lena. Man habe alle behandelt, Zivilisten und Soldaten. Man habe nicht gefragt, von welcher Seite der Front die Verwundeten kamen. Sie seien Ukrainerinnen, sagen die Vier.
Zum Glück habe man jetzt einen Stromgenerator, sagt der Chefarzt. Wenn es zu Beschießungen kommt, falle oft auch der Strom aus. Als in der heißen Kriegsphase der Strom ausfiel, habe man unter dem Licht von Taschenlampen und Kerzen arbeiten müssen.
An mehreren Stellen im Krankenhaus sehe ich große blaue Reserve-Wasserbehälter mit einem Fassungsvermögen von sechs Tonnen. Perwomajsk, Kirwosk und sogar Lugansk sind von Wasserlieferungen aus der Ukraine abhängig. Es gibt immer wieder Ausfälle bei den Lieferungen, dann kommen die blauen Reservebehälter zum Einsatz. Die Behälter wurden von der tschechischen NGO "People in Need" gespendet. Seit November 2016 gilt die Organisation in der LNR als unerwünscht.
Wo ist die humanitäre Hilfe aus Deutschland, frage ich Chefarzt Suchow. Er zeigt auf Funktionsbetten, Spezialstühle und Beistelltische. Insgesamt seien 30 solche Teile geliefert worden. Dabei handelt es sich um ausrangierte Ausrüstung aus deutschen Krankenhäusern, die von der in Thüringen ansässigen Hilfsorganisation "Zukunft Donbass mit Hilfe von Spendengeldern in die LNR transportiert wurden.
Nikolai Suchow, Chefarzt des Krankenhauses von Perwomajsk. Bild: Ulrich Heyden (2020)
Worauf sie hoffen, will ich von den Krankenschwestern wissen. "Wir hoffen, dass der Krieg bald zu Ende ist", sagt Lena. Ihre Kolleginnen stimmen ein. Chefarzt Suchow fügt hinzu: "Wir hoffen auf eine baldige Integration in die Russische Föderation."
Als ich das Krankenhaus verlasse, schweigen die Geschütze. Man hat einen wunderbaren Blick auf ein bewaldetes Tal. Die kahlen grau-braunen Baumstämme leuchten in der Sonne. Auf der anderen Seite, auf einer Anhöhe, steht die ukrainische Armee. Sie will keine Ruhe geben.
In den nächsten Folgen der Serie aus der "Volksrepublik Lugansk" geht es um politische Organisationen, Medien, Schulen und Alltag.
(Ulrich Heyden)
veröffentlicht in: Telepolis
Bilder aus der "Volksrepublik Lugansk"